Wandel nachhaltig und widerstandsfähig gestalten: Resiliente Lösungen für eine zukunftsfähige Textilindustrie
In der Europäischen Union werden jährlich mehr als zwei Milliarden Tonnen Müll produziert, besonders auch von Textilien und Bekleidung. Anhand zahlreicher neuer gesetzlicher Vorgaben der Europäischen Union soll sich die Textil- und Bekleidungsbranche bis zum Jahr 2030 grundlegend transformieren.
Zur Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben der Europäischen Union ist die Umgestaltung des traditionellen linearen Wirtschaftsmodells auf die ressourcenschonende Kreislaufwirtschaft nötig, um Produkte langlebig zu gestalten und Abfälle als Ausgangsmaterial für neue Produkte zu nutzen. Das Management einer solchen Transformation ist komplex. Die Textilbranche steht somit vor großen Herausforderungen.

Das Projekt RETRAKT erforscht, wie Textil- und Bekleidungshersteller ihre Prozesse ressourcenschonend, kreislauffähig und recyclinggerecht gestalten können – auch unter unsicheren Bedingungen. Als Rahmen dient der interdisziplinäre Ansatz des „Resilience Engineerings“. Die entwickelten Instrumente und Methoden werden in zwei Praxisbeispielen erprobt. Eine Digitale Kooperationsplattform soll die Umsetzung in der Branche technisch unterstützen.

2.3 Mrd.

Tonnen Abfall weltweit pro Jahr

120 Mio.

Tonnen Textilabfall weltweit pro Jahr

12.6 Mio.

Tonnen Textilmüll in der EU jährlich

355 Kg

CO₂-Emissionen pro Jahr und Person in Europa durch den Konsum von Textilien

1 %

der Textilien werden zu neuer Kleidung recycelt

2700 l

Wasserverbrauch zur Produktion eines Baumwoll-T-Shirts

2 .1 Mrd.

Tonnen CO₂ Emissionen im Jahr 2018 verursacht durch die globale Modebranche

676 Mio.

Tonnen Verbrauch an Primärrohstoffen für den jährlichen Textilkonsum der EU

Forschungsansätze im Überblick

Die Projektpartner betrachten das Projektthema aus verschiedenen, sich ergänzenden wissenschaftlichen Perspektiven.
Arbeitsforschung: Resilience Engineering
Der Wandel zur Kreislaufwirtschaft erhöht in der Textilindustrie die Komplexität. Prozesse müssen daher wandlungsfähig und robust gestaltet werden, indem die Resilienzpotenziale von Prozessen und Teams gezielt gestärkt werden.
Compliance Management: Rechtssicher handeln
Neue Gesetze für die Textilindustrie stellen Unternehmen vor große Herausforderungen. Eine digitale Wissensplattform unterstützt mit aktuellem Fachwissen die Einhaltung der gesetzlichen Anforderungen.
Innovations-Transferforschung: Brücke zwischen Wissenschaft und Praxis
Die Transformation zur Kreislaufwirtschaft gelingt nur im Zusammenspiel vieler Akteure. Die Transferforschung untersucht, wie Wissen und Innovationen erfolgreich in die Textilwirtschaft übertragen werden können.
Anwendung in der Industrie: Praktische Umsetzung der Methoden, Produkte und Konzepte
In Kooperation mit den Partnern aus der Textilbranche werden Workshops zur Umstellung auf eine kreislaufwirtschaftliche Organisations- und Produktionsweise entwickelt.
IT: Digitale Plattform für Wissen und Zusammenarbeit
Die Arbeit in der Kreislaufwirtschaft wird in Zukunft durch projektförmiges Arbeiten in komplexen Umwelten gekennzeichnet sein. Zur besseren Zusammenarbeit wird eine digitale Kooperationsplattform mit abrufbarem Transformations- und Fachwissen aufgesetzt.

Wissenschaftlicher Hintergrund

Im Zuge des European Green Deal hat sich die Europäische Union das Ziel gesetzt, bis 2050 der erste klimaneutrale Kontinent zu werden. Ein wichtiger Bestandteil, um diese Zielsetzung zu erreichen, ist die Umgestaltung des traditionellen linearen Wirtschaftsmodells auf die ressourcenschonende Kreislaufwirtschaft, in der Abfälle, übermäßige Ressourcennutzung und die Verwendung natürlicher Rohstoffe auf ein Minimum begrenzt werden. Nach den Vorgaben der Europäischen Union soll sich die Textil- und Bekleidungsbranche bis zum Jahr 2030 grundlegend transformieren und eine Wende von linearen zu kreislauffähigen Produktions- und Konsummustern vollziehen. Daher stellt die EU-Textilstrategie 2030 hohe Anforderungen an in Verkehr gebrachte Textil- und Bekleidungsprodukte. In den nächsten Jahren werden sowohl von Seiten der Europäischen Union als auch von den einzelnen europäischen Nationalstaaten zahlreiche neue Gesetze und Verordnungen erlassen, die speziell auf den Textil- und Bekleidungssektor im Zuge der Transformation zu einer Kreislaufwirtschaft ausgerichtet sein werden. Das Projektmanagement derartig komplexer Transformationen bedarf eines übergreifenden prozess- und arbeitswissenschaftlichen Ansatzes, der das Zusammenwirken aller Akteure entlang der Textillieferkette umfasst. Im Fokus steht dabei die Resilienz, so dass die Ziele auch bei ungünstigen Bedingungen erreicht werden.
Insgesamt stehen Unternehmen vor der Herausforderung, die Transformation zu einer Kreislaufwirtschaft effizient und effektiv sowie nachhaltig zu gestalten und gleichzeitig die in diesem Zusammenhang entstehenden Risiken zu minimieren. Das Projekt RETRAKT hat zum Ziel, die bestehenden Arbeits- und Prozessabläufe bei Textil- und Bekleidungsherstellern, die in der globalen textilen Wertschöpfungskette tätig sind, ganzheitlich zu verstehen und zu optimieren, um diese zukünftig in die Lage zu versetzen, ressourceneffizient, kreislaufwirtschaftlich und recyclinggerecht produzieren zu können. Die Einhaltung regulatorischer umweltbezogener Anforderungen im Rahmen des European Green Deal ist ein wesentlicher Treiber der Transformation zur Kreislaufwirtschaft in der Textil- und Bekleidungsindustrie. Zur Umsetzung ist ein wirksames Produkt-Compliance Management, das in den betrieblichen Prozessen verankert ist, erforderlich. Hierfür müssen existierende Abläufe in den Unternehmen etwa im Design, Einkauf, der Produktion und im Datenmanagement an die neuen rechtlichen Anforderungen angepasst werden. Für diese Transformation bietet „Resilience Engineering“ im Projekt RETRAKT den systemischen Bezugsrahmen und das Analyse- und Gestaltungsinstrumentarium. Während klassische Sicherheits- und Managementansätze auf Fehlervermeidung und Stabilität ausgerichtet sind, beruht Resilience Engineering auf sozialwissenschaftlicher Forschung: Es stellt die Mitarbeitenden und die adaptive Leistungsfähigkeit von Organisationen insgesamt in den Mittelpunkt der Betrachtung. Eine solche Interaktion von Menschen und technischen Systemen in betrieblichen Abläufen bezeichnet man als „soziotechnisches System“. Resilience Engineering befasst sich also mit der Fähigkeit dieser Systeme, unter dynamischen, unsicheren und komplexen Bedingungen erfolgreich zu funktionieren. Basierend auf praxisnahen Analysen bestehender Unternehmensprozesse wird die Umsetzung der entwickelten Instrumente und Methoden gemeinsam mit den Mitarbeitenden praktisch erprobt. Zur technischen Unterstützung der Textil- und Bekleidungsbranche wird eine Digitale Kooperationsplattform aufgesetzt.

Die Projektpartner betrachten das Projektthema aus verschiedenen, sich ergänzenden wissenschaftlichen Perspektiven.

Arbeitsforschung:
Resilience Engineering komplexer soziotechnischer Systeme
Aus Sicht der Arbeitsforschung geht es darum, Unternehmensprozesse, Abläufe und Aufgaben gemeinsam mit den Mitarbeitenden nach den Prinzipien des Resilience Engineering resilient zu gestalten. Der Übergang zur Kreislaufwirtschaft führt in der Textilindustrie zu einer deutlichen Zunahme von Komplexität und Unsicherheit. Daher müssen Prozesse künftig so gestaltet werden, dass sie wandlungsfähig und robust sind. In einem ganzheitlichen Ansatz sollen die Resilienzpotenziale der Prozesse und Teams – also ihre Fähigkeiten, zu antizipieren, zu überwachen, zu reagieren und zu lernen – gezielt aufgebaut und weiterentwickelt werden.
Compliance Management:
Umsetzung von Managementmethoden zur Textil-Kreislaufwirtschaft
Die mannigfachen und hochdynamischen politischen Regulationen für die Textilindustrie erzwingen ein leistungsfähiges, innerbetriebliches Compliance Management, das mit einer systematischen Planung, Implementierung und Überwachung von Maßnahmen innerhalb einer Organisation sicherstellt, dass geltende gesetzliche Vorschriften, interne Richtlinien und ethische Standards eingehalten werden. Ziel des Compliance-Managements ist es, rechtliche Risiken zu minimieren und die Integrität sowie das Vertrauen in die Organisation zu wahren. Die europaweit neuentstehenden Gesetze und Verordnungen stellen Unternehmen und hier insbesondere Klein- und Mittelständler mit oftmals sehr eingeschränkten Personalressourcen vor die Herausforderung, enorme Informations- und Wissensanforderungen über Entwicklung-, Produktions- Absatz- und Recyclingnetzwerke vorzuhalten. Dieser Herausforderung soll mit der Entwicklung einer leistungsfähigen Digitalen Kooperationsplattform begegnet werden, die einen schnellen und unkomplizierten Zugriff auf aktuelle und zuverlässige Informationen und das benötigte Fachwissen zur Umsetzung der Gesetzesinhalte erlaubt und somit den Aufbau einer betrieblichen Wissensbasis substanziell unterstützt.
Innovations-Transferforschung:
Innovationen auf Branchen- und Unternehmensebene sowie Wissenschafts-Praxis-Transfer
Der Wissenschaftsbeirat der Bundesregierung „Globale Umweltveränderungen“ (WBGU) bezeichnet den weltweiten Wandel zur Klimaneutralität im Rahmen der nachhaltigen Entwicklung als „Große globale Transformation“. (WBGU, 2011). Laut des WBGU ist eine solche globale Klima-Transformation und der damit einhergehende Übergang von linearen zu zirkulären Produktions- und Konsummustern, nur durch das Zusammenwirken zahlreicher politischer, wissenschaftlicher, wirtschaftlicher und sozialer Akteure auf unterschiedlichen nationalen und internationalen Ebenen möglich. Für die Wissenschaft bedeutet dies, dass ein solcher Wandelungsprozess nicht allein über den linearen Technologie- und Innovationstransfer von Wissen und Technologien aus der Wissenschaft in die Wirtschaft erfolgen kann, sondern erst durch ein Zusammenspiel und der Einbeziehung unterschiedlicher Akteursgruppen entsteht. Pfannenstiel und Dautovic (2023) sprechen hier von einem neuen „multi-direktoralem Innovationsverständnis“ mit rekursiven, rückwirkenden oder rückkoppelnden Prozessabläufen. Im Zuge dessen hat sich die „Transferforschung“ als eigene wissenschaftliche Disziplin etabliert. Es gilt, die Chancen, Risiken, Hürden und Hemmnisse im Innovationstransfer zur globalen Kreislaufwirtschaft im Textilsektor insgesamt sowie auf eu-regionaler Ebene in der Kooperation zur kreislaufwirtschaftlichen Transformation wissenschaftlich mit einzubeziehen. Ein besonderer Fokus liegt auf der Transformation der Arbeits-Aufgaben und -bedingungen in der textilen Wertschöpfungskette.
Anwendung in der Industrie:
Praktische Umsetzung der Methoden, Produkte und Konzepte
In Kooperation mit den Partnern aus der Textilbranche werden zur Steigerung der Resilienz von Prozessen auf Basis des Resilience-Engineerings arbeitswissenschaftliche Transformationsworkshops zur Umstellung einer linearen auf eine zirkuläre Organisations- und Produktionsweise entwickelt. In den Transformationsworkshops wird die resilienzorientierte Analyse und Gestaltung relevanter Aufgaben und Prozesse geleistet, aus der Wissensbedarfe, aber auch Aufgaben- und Prozessmodelle hervorgehen die ihrerseits von der Digitalen Kooperationsplattform verarbeitet werden, die dann eine Lern- und Respond-Funktionalität in Form von Transformations- und Fachwissen für die Workshops bereitstellt. Gemeinsamt mit der Digitalen Kooperationsplattform bilden die Transformationsworkshops ein modellhaftes, ganzheitliches Lern- und Transformationssystem rund um eine „Community of Practice“ (praxisbezogene Gemeinschaft von Personen) als Unterstützungswerkzeug zur Umgestaltung der Textil- und Bekleidungsbranche zur Kreislaufwirtschaft.
IT:
Digitale Kooperationsplattform zur Umsetzung in der Textilbranche
Die Arbeit in der Kreislaufwirtschaft wird in Zukunft durch projektförmiges Arbeiten in komplexen Umwelten gekennzeichnet sein. In diesem Kontext wird die Resilienz von Teams und Organisationen maßgeblich auch durch nutzerorientierte technische Infrastrukturen gefördert, die eine kollaborative Wissensarbeit als Wissenswerkstatt unterstützen. Hierzu wird eine digitale Kooperationsplattform mit abrufbarem Transformations- und Fachwissen aufgesetzt. In diesem Zusammenhang ist es geplant, fachliche Informationen zu neuen länderspezifischen Abfall- und Recyclinggesetzen und Verordnungen sowie zu „Design for Recycling Konzepten“ etwa auf Basis der neuen EU-Ökodesignverordnung für die Textil- und Bekleidungsbranche aufzubereiten und Umsetzungsanforderungen praxisrelevant zu erklären.

Ziel, Perspektiven und Förderung